August 2011

Frühstück bei Paul Schultze-Naumburg

Der Architekt, Kunsttheoretiker, Publizist und Politiker Paul Schultze-Naumburg, der in nachstehendem Schreiben den "Vorstand des Kösener SC" zum Frühstück lud, war in den Zwischenkriegsjahren der prominenteste Einwohner Bad Kösens. Er wurde 1869 in Almrich bei Naumburg als Sohn eines Porträtmalers geboren und wuchs in einer künstlerisch geprägten Atmosphäre auf. Zum Freundeskreis der Familie gehörten Emanuel Geibel, Franz Kugler und der junge Friedrich Nietszche. Schultze-Naumburg besuchte die Domschule und das Realgymnasium in Naumburg, die Kunstgewerbeschule und die Badische Landeskunstschule in Karlsruhe.

Als Gasthörer studierte er auch zwei Semester Architektur an der dortigen Technischen Hochschule. 1894 gründete er in München eine Mal- und Zeichenschule und trat wenig später der Münchener Sezession bei. 1897 ließ er sich in Berlin nieder, wo er unter anderem als Redakteur für die Zeitschrift „Der Kunstwart“ arbeitete und neben künstlerischen Beiträgen auch solche zur Lebensreformbewegung veröffentlichte.

Von 1901 bis 1903 war Schultze-Naumburg Direktor der Staatlichen Hochschule für Baukunst, bildende Kunst und Handwerk in Weimar. Bereits 1901 zog er nach Saaleck bei Bad Kösen und gründete dort 1904 die Saalecker Werkstätten GmbH. Das nach seinen Vorstellungen entworfene Anwesen unterhalb der Burg, das er auch als Wohnhaus nutzte, wird heute von der Stiftung Saalecker Werkstätten genutzt und betreut. Schultze-Naumburg entwickelte sich zunehmend zum gefragten Architekten. Er entwarf vor allem herrschaftliche Villen und Wohnhäuser, auch ganze Wohnkolonien. Zu seinen Werken gehören Schloss Bahrendorf bei Magdeburg (1919-1913) und Schloss Marienthal bei Eckartsberga (1912-1914) sowie als wohl bekanntestes das für den damaligen Kronprinzen Wilhelm erbaute Schloss Cecilienhof in Postdam (1914-1917). Stilistisch wurde er von der Heimatschutzarchitektur inspriert. Er gründete 1904 mit Ernst Rudorff den Deutschen Bund Heimatschutz, den er bis 1913 als erster Vorsitzender leitete. Mit seinen Publikationen war er einer der führenden Kunsttheoretiker der Jahrhundertwende. 1907 war er einer der Mitgründer des Deutschen Werkbundes, der sich die Verbindung moderner Technik und traditioneller Formen zum Ziel setzte. Saaleck spielte in Schultze-Naumburgs Leben fort an eine zentrale Rolle. Hier traf er sich mit seinem Freundeskreis, zu dem bekannte Architekten wie der Kirchenbauer Otto Bartning und Paul Bonatz, der Erbauer des Stuttgarter Hauptbahnhofs, aber auch der Maler Ludwig von Hofmann gehörten.

Dass er auch alljährlich mittwochs vor dem Congress die Honoratioren des Kösener SC-Verbandes bzw. des Verbandes Alter Corpsstudenten zum Frühstück empfing, geht aus dem hier überlieferten Schreiben hervor (Kösener Archiv, A 1 Nr. 412 II). Seit wann diese Tradition bestand, ist bis jetzt nicht bekannt. Die Bezeichnung als „gute alte Sitte“ lässte aber schon auf eine gewisse Routine schließen. Möglicherweise war Schultze-Naumburg nach dem Ersten Weltkrieg auch in die (nicht realisierten) Planungen für ein corpsstudentisches Logierhaus in Bad Kösen eingebunden.

Neben die künstlerische Betätigung rückte zunehmend das Interesse für die Politik. Seit Mitte der 1920er Jahre wendete sich Schultze-Naumburg dem Nationalsozialismus zu. Um 1929 entstand der sogenannte „Saalecker Kreis“, in dem er bis 1933 einen Freundeskreis prominenter Nationalsozialisten um sich sammelte. Auch Hitler, Goebbels und Himmler waren mehrfach in Saaleck zu Besuch. Der spätere Reichsbauernführer Walter Darré verfasste dort sein Buch „Neuadel aus Blut und Boden“ (1930). Reichsinnenminister Frick heiratete 1934 Schultze-Naumburgs geschiedene Frau Margarethe.

Die zunehmende politische Radikalisierung kam auch in seiner künstlerischen Formensprache zum Ausdruck kam. Schultze-Naumburg wurde ein führender Vertreter und Mitwirkender der nationalsozialistischen Kulturideologie. Sein Buch „Kunst und Rasse“ (1928) war ein Wegbereiter für die nationalsozialistische Idee der „Entarteten Kunst“ und die gleichnamige Ausstellung aus dem Jahr 1937. 1929 wurde Schultze-Naumburg Mitglied des von Alfred Rosenberg geleiteten „Kampfbunds für deutsche Kultur“ (KfdK) und übernahm innerhalb des Bundes die Abteilung „Kampfbund deutscher Architekten und Ingenieure“. Er trat 1930 der NSDAP bei und wurde auf Iniative von Wilhelm Frick Direktor der Weimarer Kunsthochschule, wo er vor allem die Ideen des Bauhaus bekämpfte. Werke verfehmter Künstler wie Ernst Barlach, Otto Dix, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff ließ er aus dem Weimarer Schlossmuseum entfernen.

1932 zog Schultze-Naumburg für die NSDAP in den Reichstag ein, dem er bis 1945 angehörte. Auf besonderen Wunsch Hitlers erhielt er 1935 den Auftrag zum Umbau des Nürnberger Opernhauses. Er fiel aber noch im gleichen Jahr in Ungnade und erhielt keine größeren Aufträge mehr. Grund war vermutlich auch, dass der von Schultze-Naumburg propagierte Heimatstil nicht dem Repräsentationsbedürfnis nationalozialistischer Herrschaftarchitektur entsprach. 1940 schied er aus dem Hochschuldienst aus. Bei einem Parteiausschlussverfahren wurde er verwarnt. Allerdings wurde er auf Veranlassung Hitlers noch 1944 in die Sonderliste der 12 wichtigsten Künstler der „Gottbegnadeten-Liste“ aufgenommen. Nach dem Zusammenbruch 1945 wurde er enteignet. Er starb am 19. Mai 1949 in Jena.

Weitere Informationen: Seite der Saalecker Werkstätten