September 2011

Borussia Karlsruhe: Ein fast vergessenes Corps

Auch an den Polytechnischen Schulen gab es - wenn auch in geringerem Umfang als an den Universitäten - Corps, die dem örtlichen SC angehörten, sich aber schon vor der Konstituierung eines überörtlichen Dachverbandes auflösten. Die meisten haben kaum Spuren hinterlassen. In Karlsruhe zum Beispiel gab es in den 1840er Jahren einmal eine Palatia, eine Nassovia und eine Rhenania. Unsere Kenntnis über diese Corps umfasst kaum mehr als in den SC-Protokollen und in den ab 1840 erhaltenen Fragmenten des SC-Schriftwechsels überliefert ist.

Eine Ausnahme bildet das Corps Borussia: Es bestand nur wenige Semester und übergab seine Akten nach der endgültigen Suspension offenbar wie damals üblich an das SC-Archiv.

So haben sich dort (heute: Archiv des WSC, Best. B 1) die Corpsburschenconstitution, die Renoncenconstitution und eine CK-Constitution ebenso erhalten wie sämtliche Protokolle des Burschen- und Renoncenconvents von der Stiftung bis zur Suspension.

Gestiftet wurde Borussia Karlsruhe im Mai 1856. Das Protokollbuch beginnt mit dem nebenstehenden Eintrag vom 1. Juni 1856. Die eigentliche Stiftung muss etwa zwei Wochen vorher stattgefunden haben. Als offizieller Stiftungstag wurde bei der constituierenden Sitzung der 18. Mai 1856 festgesetzt. Die Farben des Corps waren schwarz-weiß-schwarz, der Wahlspruch Fortiter ut palma florebit. Borussia bildete damals mit Saxonia und Bavaria einen SC. Streitigkeiten führten allerdings zum baldigen Austritt der Saxonia und Bildung eines neuen SC mit der zwischenzeitlich rekonstituierten Franconia. Beide Seiten standen sich zunächst unversöhnlich gegenüber. Erst am 27. Januar 1857 vereinigten sich die vier Corps wieder zu einem gemeinsamen Senioren-Convent.

Die kurze Geschichte der Borussia war von ständiger Personalnot gekennzeichnet. Von den Corps des Karlsruher SC war sie stets das schwächste. Ende April 1857 sind für Borussia sieben Aktive ausgewiesen (5 CB, 2 Renoncen). Franconia kam auf 19, Bavaria auf 13, Saxonia auf 15 Aktive. Am 6. Juni 1857 beschloss der Burschenconvent der Borussia daher wegen „zu geringen Korpsbestands“ die Auflösung des Corps. Akten, Paukzeug und Kneipdekoration sollten dem Corpsburschen Ed. Sugg übergeben werden. Der Beschluss, der in Abwesenheit zweier Aktiver gefasst wurde, wurde aber am 18. Juni kassiert und statt dessen Saxonia um Abgabe mehrerer Corsburschen gebeten. Unter dem 24. Juni wurde der Sachse Georg Noell recipiert, nach Beschluss der Saxonia zunächst befristet bis zum 1. Oktober. Bereits am 30. Juni erging ein weiteres Schreiben an Saxonia wegen Unterstützung. Am 18. Oktober 1857 zeigte das Corps dem SC wegen Aktivenmangels erneut die Suspension an, die durch das gesamte Wintersemester 1857/58 bis in das folgende Sommersemester hinein andauerte. Die am 20. Mai 1858 beschlossene Rekonstitution brachte auch nur ein kurzes Aufblühen. Die endgültige Auflösung im Herbst des Jahres wurde nur noch von zwei Aktiven unterzeichnet - die übrigen waren wohl schon im Laufe der Ferien vom Polytechnikum abgegangen.

Trotz der kurzen Bestandsdauer erfahren wir aus den Protokollen einige Einzelheiten aus dem damaligen Corpsleben in Karlsruhe. Die Kneipe befand sich nach Beschluss des BC vom 1. Juni 1856 „vorläufig“ in der Steinerschen Brauerei. Als weitere Orte für Kommerse und Kneipereien werden der Saal des Bürgervereins und mehrfach die Cleven´sche Bierhalle erwähnt, wo die allgemeinen Kneipen stattfanden. Über das Mensurwesen liegen wenige Nachrichten vor. Der BC vom 1. Juni 1856 forderte jedoch, dass jedes Mitglied so bald wie möglich Fechtzeug beschaffen solle. Die Ergänzung des Paukmaterials war auch später häufig Conventsthema. Am 24. 12. 1856 wurde im RC bekanntgegeben, dass jede neu eingetretene Renonce 8 Tage nach Reception Mütze, Band, Liederbuch nebst Schläger, Stulp und Maske bei Strafe von fl. 1,45 besitzen müsse. Der Fechtboden befand sich im „Martinschen Fechtlokal“ (BC vom 3. 7. 1856). Wo die Mensuren stattfanden, ist hier nicht überliefert. Innerhalb des SC waren die Beziehungen zu Saxonia offenbar am engsten. Das belegt nicht nur die zweimalige Bitte um personelle Unterstützung, sondern auch die Dedikation des Kneipbildes an Saxonia (BC vom 16. 7. 1857).

In der Geschichte des Karlsruher SC ist Borussia nicht mehr als eine Marginalie. Als die Corps an den Technischen Hochbschulen Karlsruhe, Hannover, Stuttgart und Zürich im April 1863 in Frankfurt am Main den "Allgemeinen Senioren-Convent" gründeten, war sie schon Geschichte. Gleichwohl ist sie durch den Erhalt der Protokolle aus der Frühzeit polytechnischer Corps, die andernorts vielfach verlorengegangen sind, für die Geschichtsforschung von besonderem Interesse.

Hf.

 

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